@larsweisbrod Hm, als jemand, der beides im Leben hatte - und wegen dieser Breite dann auch notwendig mit weniger Tiefe - zweifle ich, ob Matheinkompetenz wirklich *angesehen* ist in „intellektuellen“ Kreisen.

Mathematiker sind für mich übrigens auch Intellektuelle.

Was mich persönlich oft betrübt bei positivistischen Wissenschaftlern ist deren ethische Illiteralität. Zum Glück ändert sich das derzeit ein wenig im Zusammenhang mit der Klimakrise.

@go_shrumm
Ich finde Lars hat Recht. Es ist nicht peinlich, Mathe nicht zu können, und Formeln sind sogar eine Art Distinktion, die signalisieren soll: jetzt wird es Ernst!. In ihren Anfängen hatte die analytische Philosophie zB einen starken Hang zum Formalismus, auch in Abgrenzung von den als Schwurblern empfundenen anderen Intellektuellen. Das ist natürlich Quatsch, aber so wurde es eben wahrgenomm. Und wird immer noch, bei vielen.
@larsweisbrod

@apublicimage @larsweisbrod Ok, du bist da natürlich näher dran als ich. Danke für diesen Einblick.

Umgekehrt ist es aber nach meiner Erfahrung unter Nerds auch nicht peinlich, von den ethischen Implikationen des eigenen Tuns keine Ahnung zu haben oder überhaupt das als Problem zu sehen. Natürlich gibt es immer solche und solche. Aber die „Fachidiotie“ scheint mir doch relativ verbreitet.

@go_shrumm
Das stimmt. Ethik ist immer so eine Art Pflichtübung, als könne man es trennen von dem Rest der Welt. Aber das ist ja genau der Mythos des Kapitalismus, dass wir so essentielle Fragen wie die Verteilung der Ressourcen und der menschlichen Arbeit organisieren könnten, ohne uns dabei groß ethisch irritieren lassen zu müssen. Was umgekehrt leider aber auch dazu führen kann, dass Kritik nur noch moralistisch auftritt. Überkompensation dann halt.
@larsweisbrod

@apublicimage @larsweisbrod Genau. Ist das nicht in beide Richtungen das, was #Adorno kritisch mit „Hypostasis“ meinte?

Zum Thema Mathe fiel mir auch eben noch #Badiou ein. Ist das jetzt die mathematische und damit unhintergehbare Fundierung des Maoismus als richtiges (nicht etwa bloß „gutes“) Sein - oder kommen da schlicht Formeln und Schwurbeln grandios zusammen??

Ich „bin“ ja gegen Maoismus eher kritisch positioniert.

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@go_shrumm @apublicimage @larsweisbrod
Da war doch was …

ADOrno spricht:
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Wishful Thinking. - Intelligenz ist eine moralische Kategorie. Die Trennung von Gefühl und Verstand, die es möglich macht, den Dummkopf frei und selig zu sprechen, hypostasiert die historisch zustandegekommene Aufspaltung des Menschen nach Funktionen. Im Lob der Einfalt schwingt die Sorge darum mit, daß nur ja das Getrennte nicht zueinander finde und das Unwesen stürze. »Hast du Verstand und ein Herz«, lautet ein Distichon Hölderlins, »so zeige nur eines von beiden, / Beides verdammen sie dir, zeigest du beides zugleich.« Die Schmähung des beschränkten Verstandes im Vergleich mit der unendlichen, aber als unendliche dem endlichen Subjekt stets zugleich unerforschlichen Vernunft, von der die Philosophie widerhallt, klingt trotz ihres kritischen Rechts an die Weise: »Üb immer Treu und Redlichkeit« an. Wenn Hegel dem Verstand seine Dummheit demonstriert, so bringt er dabei nicht bloß die isolierte Reflexionsbestimmung, den Positivismus jeden Namens, auf ihr Maß an Unwahrheit, sondern wird zum Mitschuldigen am Denkverbot, beschneidet die negative Arbeit des Begriffs, welche die Methode selbst zu leisten beansprucht, und beschwört auf der höchsten Höhe der Spekulation den protestantischen Pfarrer, der seiner Herde empfiehlt, es zu bleiben, anstatt auf ihr schwaches Licht sich zu verlassen. Vielmehr wäre es an der Philosophie, im Gegensatz von Gefühl und Verstand deren Einheit aufzusuchen: eben die moralische. Intelligenz, als Kraft des Urteils, widersetzt sich in dessen Vollzug dem je Vorgegebenen, indem sie es zugleich ausdrückt. Das Vermögen des gegen die Triebregung sich abdichtenden Urteilens gerade wird ihr gerecht durch ein Moment des Gegendrucks gegen den gesellschaftlichen. Urteilskraft mißt sich an der Festigkeit des Ichs. Damit aber auch an jener Dynamik der Triebe, welche von der Arbeitsteilung der Seele dem Gefühl überantwortet wird. Instinkt, der Wille standzuhalten, ist ein Sinnesimplikat der Logik. Indem in ihr das urteilende Subjekt an sich vergißt, unbestechlich sich zeigt, erficht es seine Siege.
𝗪𝗶𝗲 𝗱𝗮𝗴𝗲𝗴𝗲𝗻 𝗶𝗺 𝗲𝗻𝗴𝘀𝘁𝗲𝗻 𝗨𝗺𝗸𝗿𝗲𝗶𝘀 𝗠𝗲𝗻𝘀𝗰𝗵𝗲𝗻 𝗱𝗼𝗿𝘁 𝘃𝗲𝗿𝗱𝘂𝗺𝗺𝗲𝗻, 𝘄𝗼 𝗶𝗵𝗿 𝗜𝗻𝘁𝗲𝗿𝗲𝘀𝘀𝗲 𝗮𝗻𝗳𝗮̈𝗻𝗴𝘁, 𝘂𝗻𝗱 𝗱𝗮𝗻𝗻 𝗶𝗵𝗿 𝗥𝗲𝘀𝘀𝗲𝗻𝘁𝗶𝗺𝗲𝗻𝘁 𝗴𝗲𝗴𝗲𝗻 𝗱𝗮𝘀 𝗸𝗲𝗵𝗿𝗲𝗻, 𝘄𝗮𝘀 𝘀𝗶𝗲 𝗻𝗶𝗰𝗵𝘁 𝘃𝗲𝗿𝘀𝘁𝗲𝗵𝗲𝗻 𝘄𝗼𝗹𝗹𝗲𝗻, 𝘄𝗲𝗶𝗹 𝘀𝗶𝗲 𝗲𝘀 𝗮𝗹𝗹𝘇𝘂 𝗴𝘂𝘁 𝘃𝗲𝗿𝘀𝘁𝗲𝗵𝗲𝗻 𝗸𝗼̈𝗻𝗻𝘁𝗲𝗻, 𝘀𝗼 𝗶𝘀𝘁 𝗻𝗼𝗰𝗵 𝗱𝗶𝗲 𝗽𝗹𝗮𝗻𝗲𝘁𝗮𝗿𝗶𝘀𝗰𝗵𝗲 𝗗𝘂𝗺𝗺𝗵𝗲𝗶𝘁, 𝘄𝗲𝗹𝗰𝗵𝗲 𝗱𝗶𝗲 𝗴𝗲𝗴𝗲𝗻𝘄𝗮̈𝗿𝘁𝗶𝗴𝗲 𝗪𝗲𝗹𝘁 𝗱𝗮𝗿𝗮𝗻 𝘃𝗲𝗿𝗵𝗶𝗻𝗱𝗲𝗿𝘁, 𝗱𝗲𝗻 𝗔𝗯𝗲𝗿𝘄𝗶𝘁𝘇 𝗶𝗵𝗿𝗲𝗿 𝗲𝗶𝗴𝗲𝗻𝗲𝗻 𝗘𝗶𝗻𝗿𝗶𝗰𝗵𝘁𝘂𝗻𝗴 𝘇𝘂 𝘀𝗲𝗵𝗲𝗻, 𝗱𝗮𝘀 𝗣𝗿𝗼𝗱𝘂𝗸𝘁 𝗱𝗲𝘀 𝘂𝗻𝘀𝘂𝗯𝗹𝗶𝗺𝗶𝗲𝗿𝘁𝗲𝗻, 𝘂𝗻𝗮𝘂𝗳𝗴𝗲𝗵𝗼𝗯𝗲𝗻𝗲𝗻 𝗜𝗻𝘁𝗲𝗿𝗲𝘀𝘀𝗲𝘀 𝗱𝗲𝗿 𝗛𝗲𝗿𝗿𝘀𝗰𝗵𝗲𝗻𝗱𝗲𝗻.
Kurzfristig und doch unaufhaltsam verhärtet es sich zum anonymen Schema des geschichtlichen Ablaufs. Dem entspricht die Dummheit und Verstocktheit des Einzelnen; Unfähigkeit, die Macht von Vorurteil und Betrieb bewußt zu vereinen. Sie findet mit dem moralisch Defekten, dem Mangel an Autonomie und Verantwortung regelmäßig sich zusammen, während so viel zutrifft am Sokratischen Rationalismus, daß man einen ernsthaft klugen Menschen, dessen Gedanken auf Gegenstände gerichtet sind und nicht formalistisch in sich kreisen, kaum je als Bösen sich vorstellen kann. Denn die Motivation des Bösen, blinde Befangenheit in der Zufälligkeit des Eigenen, tendiert dazu, im Medium des Gedankens zu zergehen. Schelers Satz, alle Erkenntnis sei in Liebe fundiert, war Lüge, weil er unmittelbar die Liebe zum Angeschauten verlangte. Aber er würde zur Wahrheit, wenn Liebe zur Auflösung allen Scheins von Unmittelbarkeit drängte und damit freilich unversöhnlich würde mit dem Gegenstand der Erkenntnis. Gegen die Abspaltung des Gedankens hilft nicht die Synthese der einander entfremdeten psychischen Ressorts, nicht die therapeutische Versetzung der ratio mit irrationalen Fermenten, sondern die Selbstbesinnung auf das Element des Wunsches, das antithetisch Denken als Denken konstituiert. Erst wenn jenes Element rein, ohne heteronomen Rest in die Objektivität des Gedankens aufgelöst wird, treibt es zur Utopie.

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