Auf der Vogelsite trendet heute "Islam als Bedrohung". (Es gab wohl gerade eine Bertelsmann-Umfrage dazu.) Dazu habe ich eine Meinung: Ich empfinde jede Religion als Bedrohung. Aber den Islam nicht mehr als andere. Die Frage, ob ich den Islam als Bedrohung sehe, muss ich also mit nein beantworten, da diese Frage auf Bedrohung als Abgrenzung zu anderen Religionen abzielt, was ich äußerst unpassend finde. Zugleich kann ich diese Frage aber doch nicht mit nein beantworten, weil der Islam eben eine Religion ist und ich wie gesagt alle Religionen als Bedrohung sehe. Was nun also? Ja oder nein?
Die Auflösung geht wie folgt: Sie geht gar nicht. Es gibt keine Auflösung, weil die Frage dumm ist. Sie provoziert außerdem die Assoziation mit der in Deutschland ohne Frage in erheblichem Maße stattfindenden politischen Ideologisierung des Islams -- dem Islamismus -- von dem unstrittig eine erhebliche politische Bedrohung ausgeht. Aber es wurde nach dem Islam als Bedrohung gefragt, nicht nach Islamismus. Was ist also damit gemeint? Ob der Islamismus eine inhärente Eigenschaft des nicht-säkularisierten Islams ist? Oder ob er allein deshalb bedrohlich ist, weil er eine (fremde?) Religion ist? Zielte die Frage also bloß auf den Toleranzgrad in der Gesellschaft ab?
Zum Thema Toleranz hätte ich immerhin eine vorgedachte Überlegung parat: Toleranz gegenüber Religion ist auf Individualebene unstrittig geboten, einfach wegen konstitutionell prinzipiell gewollter Religionsfreiheit und überhaupt ganz allgemein aus Gründen der Würde von und des Respekts gegenüber allen einzelnen Menschen. Auf Strukturebene aber ist sie völlig unangemessen, da jede Religion auf die Gesellschaft verheerende destruktive Auswirkungen hat, nicht nur konkret z.B. als wesentlicher bremsender Faktor bei der grundgesetzlich gebotenen Überwindung des Patriarchats, sondern allgemein bei der Behinderung progressiven und aufgeklärten Denkens als Gegenstück zur rückwärts gewandten reaktionären Mythenhuldigung, die Religion und Faschismus gemeinsam haben.
Auf Strukturebene finden Religion und religiöse Ideologisierung von Religion, also auch Islam und Islamismus, in der Tat im Faschistischen zusammen, d.h. es geht ganz eindeutig eine Bedrohung davon aus. Aber das gilt auch für die CSU und für die Werteunion und für die AfD und die FDP. Der Islam alleine fällt als Bedrohung quantitativ nicht mal in diese Liga, weshalb ich zu meiner abschließenden Bewertung komme: Ich sehe den Islam nicht als Bedrohung an. Und das Christentum aus den gleichen Gründen auch nicht.
Man hätte in der Umfrage lieber nach dem Christentum als Bedrohung fragen sollen. Dann wäre auch aufgefallen, welches Unheil allein die Frage anrichtet, wenn man willkürlich irgendwas plakativ in den Kontext einer vermeintlichen Bedrohung rückt. Der Schaden ist dann ja schon durch die Frage da. Und wahrscheinlich war er hier auch gewollt. Aber wer ist da bei Bertelsmann überrascht? Dass die suggestiv agieren und einer eigenen Agenda folgen, ist ja nicht neu. Vielleicht kann ich die Vogelsite auch deshalb nicht mehr ertragen, weil ihre auf Viralgehung getrimmten Mechanismen sich für jeden Mist instrumentieren lassen. Vielleicht sollte ich mir die "Trends" dort einfach gar nicht mehr anschauen.